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Globale Krisen in der Mode (DE/EN)

Unsere Welt verändert sich ständig. Dabei steht keine Industrie so sehr für Schnelllebigkeit wie die Modeindustrie. Dennoch haben globale Krisen, wie die Covid-19-Pandemie, wirtschaftliche Rezessionen, politische Unruhen und Kriege, die Industrie in den 2020er Jahren maßgeblich beeinflusst und verändert.

In diesem Beitrag geht es einerseits um die Krisen innerhalb der Modebranche und wie diese von globalen Krisen beeinflusst werden – und andererseits um den umgekehrten Einfluss.

Krisen der Modebranche

Ein Beben nach dem anderen erschütterte die internationale Modewelt in 2020er Jahren. Angefangen mit Alessandro Michele, der 2022 Gucci nach 20 Jahren verließ und im März 2024 zum neuen Kreativdirektor von Valentino ernannt wurde. Zuvor wurde Pierpaolo Piccioli kurzfristig entlassen, um den Platz nach mehr als 20 Jahren zu räumen. Auch in London waren die Erschütterungen spürbar: Sarah Burton verließ Alexander McQueen. Ebenfalls im März 2024 verkündete Dries van Noten seinen Rückzug aus der Branche. Es folgte Virginie Viards Ausscheiden bei Chanel im Juni desselben Jahres, dann Peter Hawking, der Tom Ford und John Galliano, der Maison Margiela ebenfalls im Sommer 2024 verließ.

v.l.n.r. Virginie Viard (links oben), Peter Hawking, Pierpaolo Piccioli, Dries van Noten,
v.l.n.r. Alessandro Michele (links unten), Sarah Burton mit Alexander McQueen & John Galliano

Sie sei nicht originell genug und wiederhole sich zu oft, so der Protest. Maria Grazia Chiuri, die seit 2016 als Kreativdirektorin bei Dior tätig ist, steht häufig im Mittelpunkt kontroverser Diskussionen. Während einige ihre Arbeit für ihre feministische Botschaft und die Förderung von Handwerk und Tradition loben, gibt es Kritik, dass ihre Entwürfe nicht innovativ genug seien. Kritiker bemängeln, dass ihre Kollektionen sich oft wiederholen und dass es ihr an der für Dior typischen Originalität und Avantgarde fehle.Ähnlich ergeht es Nicolas Ghesquière bei Louis Vuitton.

Die Zukunft all dieser Marken ist noch ungewiss, aber möglicherweise neigt sich die Ära der langjährigen, unantastbaren Kreativdirektoren dem Ende zu?

Ebenfalls verkünden viele kommerzielle Marken, die Stelle des Kreativdirektors neu einzuführen. So wurde erst im September bekannt, dass Clare Waight Keller die neue Uniqlo Leitung übernehmen wird, obwohl sie zuvor Luxusmarken wie Givenchy und Chloé führte. Damit ist die japanische Kette jedoch kein Vorreiter, denn Gap Inc. hatte Zac Posen bereits in eben diese Position berufen.

Vielleicht ist die Rolle des Kreativdirektors in den 2020er Jahren also ein geeigneteres Modell für Marken im Masseneinzelhandel?

Diese Unruhen in der Industrie spiegeln sich auch in den Umsätzen der großen Luxuskonglomerate wider. So muss Kering einen starken Umsatzrückgang einstecken. Der Konzern, zu dem unter anderem Alexander McQueen, Saint Laurent, Balenciaga, Bottega Veneta gehören, meldete für das zweite Quartal einen Umsatzrückgang von 11 %, was in erster Linie auf die schwächelnden Umsätze der italienischen Marke Gucci zurückzuführen ist.

Der Umsatz von Gucci sank um 20 %, währungsbereinigt um 18 %, da die Pläne für einen Relaunch des Labels unter einem neuen Führungsteam und einem neuen Designer weiterhin ins Stocken geraten, so The Business of Fashion.

Auch bei LVMH (Louis Vuitton, Dior, Fendi, Tiffany & Co., etc.) wuchs der Umsatz mit Mode- und Lederwaren im zweiten Quartal um lediglich 1 % auf 10,28 Mrd. Euro und lag damit knapp unter den Erwartungen von rund 2 %. Auch der weltgrößte Luxuskonzern ist nicht immun gegen den Nachfragerückgang, berichtet Vogue Business auf Instagram.

Dennoch Hermès und Prada trotzen dem Trend. Der Umsatz von Hermès wuchs im zweiten Quartal bei konstanten Wechselkursen um 13,3 % auf 3,7 Mrd. Euro, teilte das Unternehmen mit und übertraf damit die Konsenserwartungen von 11,5 %.

Das Wachstum wurde angeführt von Europa ohne Frankreich (plus 18 %) und Japan (plus 19,5 %), während der asiatisch-pazifische Raum ohne Japan um 5,5 % wuchs. Auch in den USA verzeichnete Hermès mit einem Umsatzplus von 13 % – eine solide Leistung. Während die meisten Luxusunternehmen in China rote Zahlen schrieben, hielt sich Hermès gut, wie Vogue Business im Juli 2024 berichtete. Prada legte im ersten Halbjahr um 17 % zu, wie die TextilWirtschaft berichtete.

Jahrelang war die Devise klar: Wachstum. Dadurch wird die gesamte Industrie heute von großen Konzernen dominiert. Für junge Designer*innen wird es dadurch sehr schwer, einen Platz in dieser Branche zu finden und sich kreativ zu entfalten, um neuen Schwung in die Modewelt zu bringen. Neue Designer wie Seán McGirr, der Sarah Burton bei Alexander McQueen nachfolgt, und Haider Ackermann, der die kreative Leitung bei Tom Ford übernehmen wird, könnten jedoch frischen Wind bringen und neue Maßstäbe setzen.

Imran Amed, der Gründer von The Business of Fashion, und Bob Safian teilen dazu ebenfalls ihre Gedanken in der BOF Podcasts Folge vom 12. Juli 2024.

Auswirkungen globaler Krisen auf die Modebranche

Gesellschaftliche Trends und Stimmungen spiegeln sich oft sehr schnell in Modetrends wider. So lösen Krisen eine gewisse Sehnsucht im Menschen aus, die in der Mode ihren Ausdruck findet. Die Anschläge des 11. Septembers befeuerten den Romantik-Trend, da man sich nach einer heilen Welt sehnte. Auch die bereits erwähnte COVID-19-Pandemie befeuerte den Quiet-Luxury-Trend, wobei die Mentalität sich änderte und man mit weniger, aber dafür qualitativ Hochwertigem auskommt.

In der Juli/August 2024 Ausgabe der deutschen Vogue beschreibt Patrick Pendiuk dieses Phänomen.

Die sogenannte Rocksaum-Theorie erklärt dieses Verhalten genau. Bereits 1926 brachte der US-amerikanische Ökonom George W. Taylor diese Theorie ins Spiel, die den Zusammenhang zwischen der Rocklänge der Damenmode und Konjunkturphasen erklärt. Es gilt:

In kriegsgebeutelten Jahren und bei Ressourcenknappheit wurden die Röcke länger, je schlechter es der Wirtschaft ging – und umgekehrt.

Es lässt sich daher etwas Buntes, Leichtes und Glitzerndes in der Zukunft der Mode erwarten.

Globale Krisen sorgen immer auch für eine gewisse Sensibilität und fordern viele Unternehmen und Prominente auf, sich zu politischen Themen und Konflikten zu positionieren. Besonders auf TikTok sorgten die Looks der Met Gala im Mai für Aufsehen. Hier wurden die extravaganten Outfits mit Bildern aus Gaza gegenübergestellt und mit dem Lied „Hanging Tree“ aus den Tribute von Panem-Filmen unterlegt. Diese Parallele zu den reichen Bürgern im Capitol, die sich nicht um die Sorgen und Nöte der Bevölkerung in den ärmeren Distrikten kümmern, traf den Nerv der Zeit.

Ein Beispiel von vielen, das auf TikTok viral ging

In Zeiten von Krisen und Kriegen ist Mode eine Art der Kommunikation. Sie wird genutzt, um Statements zu setzen, auf Missstände aufmerksam zu machen, aber auch um Sehnsüchte auszudrücken und sich in eine idealere Welt zu flüchten.

Was denkt ihr?
Inwiefern sind die Krisen der Modebranche von globalen Krisen beeinflusst und vice versa?

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English Version

Global Crises in Fashion

Our world is constantly changing. No industry embodies transience as much as the fashion industry. However, global crises such as the COVID-19 pandemic, economic recessions, political unrest, and wars have significantly influenced and transformed the industry in the 2020s.

This article examines the crises within the fashion industry and how these crises are influenced by global events—and vice versa.

Crisis within the Fashion Industry

One shock after another shook the international fashion world in the 2020s. It started with Alessandro Michele, who left Gucci in 2022 after 20 years and was appointed the new creative director of Valentino in March 2024. Prior to that, Pierpaolo Piccioli was abruptly dismissed after more than 20 years to make way for Michele. In London, the tremors were also felt: Sarah Burton left Alexander McQueen. In March 2024, Dries van Noten announced his retirement from the industry. This was followed by Virginie Viard’s departure from Chanel in June of the same year, as well as Peter Hawking leaving Tom Ford and John Galliano leaving Maison Margiela, both in the summer of 2024.

From left to right: Virginie Viard (top left), Peter Hawking, Pierpaolo Piccioli, Dries van Noten; from left to right: Alessandro Michele (bottom left), Sarah Burton with Alexander McQueen & John Galliano.

She is not original enough and repeats herself too often, critics argue. Maria Grazia Chiuri, who has been Dior’s Creative Director since 2016, is frequently at the center of controversial discussions. While some praise her work for its feminist message and promotion of craftsmanship and tradition, there is criticism that her designs lack innovation. Critics claim that her collections are often repetitive and that she falls short of the originality and avant-garde spirit typically associated with Dior. Similarly, Nicolas Ghesquière faces similar critiques at Louis Vuitton.

The future of all these brands is still uncertain, but perhaps the era of long-standing, untouchable creative directors is coming to an end?

At the same time, many commercial brands are announcing the reintroduction of the position of creative director. In September, it was revealed that Clare Waight Keller would become Uniqlo’s new creative director, having previously led luxury brands such as Givenchy and Chloé. However, the Japanese chain is not a pioneer in this, as Gap Inc. had already appointed Zac Posen to the same position.

So perhaps the role of the creative director in the 2020s is a more suitable model for brands in mass retail?

This unrest is also reflected in the revenues of the major luxury conglomerates. Kering, for example, reported a significant decline in sales. The group, which includes brands like Alexander McQueen, Saint Laurent, Balenciaga, and Bottega Veneta, reported an 11% drop in revenue for the second quarter, primarily due to weakening sales at Gucci.

Gucci’s revenue fell by 20%, or 18% on a currency-adjusted basis, as plans for a relaunch under a new leadership team and designer continue to stall, according to The Business of Fashion.

LVMH (Louis Vuitton, Dior, Fendi, Tiffany & Co., etc.) also reported modest growth, with fashion and leather goods revenue increasing by only 1% to €10.28 billion in the second quarter, slightly below the expected 2%. Even the world’s largest luxury conglomerate is not immune to declining demand, reports Vogue Business on Instagram.

Hermès and Prada are bucking the trend. Hermès reported a 13.3% increase in revenue at constant exchange rates in the second quarter, reaching €3.7 billion, surpassing the consensus expectations of 11.5%.

Growth was driven by Europe excluding France (up 18%) and Japan (up 19.5%), while the Asia-Pacific region excluding Japan grew by 5.5%. In the US, Hermès also recorded solid performance with a 13% increase in revenue. While most luxury companies in China posted losses, Hermès managed to hold its ground, as reported by Vogue Business in July 2024. Prada also saw a 17% increase in the first half of the year, according to TextilWirtschaft.

For years, the guiding principle was clear: growth. As a result, the entire industry is now dominated by large corporations. This makes it very difficult for young designers to find a place in the industry and, more importantly, to express themselves creatively and bring a fresh drive to the scene. New designers like Seán McGirr, who is succeeding Sarah Burton at Alexander McQueen, and Haider Ackermann, who will take over the creative direction at Tom Ford, could bring fresh energy and set new standards.

Imran Amed, founder of The Business of Fashion, and Bob Safian also share their thoughts on this topic in the BOF Podcast episode from July 12.

Impact of Global Crises on the Fashion Industry

Societal trends and sentiments are often quickly reflected in fashion trends. Crises evoke a sense of longing in people, which finds its expression in fashion. The attacks of September 11th fueled the romantic trend, as people longed for a perfect world. Similarly, the aforementioned COVID-19 pandemic fueled the quiet luxury trend, with a shift in mentality towards getting by with less but opting for high-quality items.

Patrick Pendiuk describes this phenomenon in the July/August 2024 issue of the German Vogue.

The so-called hemline theory explains this behavior. In 1926, American economist George W. Taylor introduced this theory, which explains the correlation between women’s skirt lengths and economic cycles. The theory posits that:

In war-torn years and times of resource scarcity, skirts grew longer as the economy worsened—and vice versa.

Therefore, we can expect something colorful, light, and glittery in the future of fashion.

Global crises also foster a certain sensitivity and demand that companies and celebrities take a stance on political issues and conflicts. Especially on TikTok, the looks from the Met Gala in May caused a stir. Extravagant outfits were juxtaposed with images from Gaza, set to the song „Hanging Tree“ from The Hunger Games, drawing parallels to the wealthy citizens of the Capitol who are indifferent to the struggles and needs of the population in the poorer districts.

One of many examples that went viral on TikTok

In times of crises and wars, fashion becomes a form of communication. It is used to make statements, draw attention to injustices, but also to express longings and escape into a more ideal world.

What do you think? How are the crises in the fashion industry influenced by global crises, and vice versa?

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